Rheda-Wiedenbrück
Effiziente Luft für Kläranlagen
Stehen Modernisierungen von Kläranlagen an, sind es in der Regel die stetig sinkenden Grenzwerte bei Ammonium, Nitrat und Phosphat, die Investitionsentscheidungen vorantreiben. Geht es ums Budget, lohnt es sich mit Blick auf den Klimaschutz und die eigenen Finanzen, auch die Energieeffizienz in die Planungen zu integrieren. Angesichts der Tatsache, dass allein die Luftversorgung in der Belebung oft mehr als 70 Prozent der Betriebskosten in diesem Bereich ausmacht, wird schnell klar, warum sich Effizienzverbesserungen gerade hier lohnen – und dies mit kurzen Return-on-Investment-Zeiten. Genau so hat die Kläranlage Rheda-Wiedenbrück (326.000 Einwohnergleichwerte) geplant. Dort wird derzeit ein brandneues Steuerungskonzept für die AERZEN Gebläsetechnik, die AERsmart Steuerungskombination, getestet.
Im Jahr 2013 begannen die Modernisierungsarbeiten an der Abwasseranlage. Daran angeschlossen sind die Bürger der Region Rheda-Wiedenbrück sowie Deutschlands größter Schweineschlachthof. Ein Projektziel bestand darin, die Biologie wirksamer mit Luft zu versorgen, indem alte Belüftungsgitter nicht nur durch neue ersetzt, sondern diese auch 30 cm Zentimeter tiefer unmittelbar am Boden der Belebungsbecken eingebaut wurden. „Angesichts der Fläche der sechs Becken konnten wir so unser Bearbeitungsvolumen um einige Hundert Kubikmeter steigern“, erklärt Abwassermeister Hendrik Wulfhorst. Nachträglich gewonnene 30 cm Platz bedeuten jedoch eine Erhöhung des Systemdrucks um 30 mbar, was bei der Auslegung der Gebläsetechnik entsprechend berücksichtigt werden musste.
Vor der Anlagenmodernisierung wurde die Biologie mit einem recht hohen Sauerstoffüberschuss in den Becken gefahren, um vor allem die Schwankungen bei den Einlaufwerten des Schlachthofbetriebs sicher aufzufangen. Letztlich mit dem Auftrag, die Betriebskosten und den damit verbundenen CO2-Ausstoß zu reduzieren, bestand ein klares Ziel des Projektes darin, die Belüftung der Becken künftig wesentlich enger mit der schwankenden Abwasserfracht und dem daraus resultierenden Sauerstoffbedarf zu koppeln. Daraus folgte im ersten Schritt die bedarfsgerechte Drehzahlsteuerung der insgesamt vier Gebläse-Einheiten von AERZEN.
Intelligentere Luftversorgung
Die Sollwerte generiert die SPS (Speicherprogrammierbare Steuerung) aus den Messdaten im Abwasser – vornehmlich in Form von Ammonium- und Nitratkonzentrationen. Darüber hinaus gibt es ein intelligentes Steuerungssystem für die Membranregelventile. Sie schließen sich langsam, wenn die erforderliche Sauerstoffsättigung im Wasser des entsprechenden Beckens erreicht ist. Damit dieses Schließen nicht zu einem höheren Druck – und damit Widerstand – in der Leitung führt, fährt die SPS parallel den Solldruck herunter. „Sonst würden wir mit den Membranregelventilen Energie vernichten, denn bei einer konstanten Druckregelung müssen die Gebläse gegen den Druckverlust durch die Membranregelventile arbeiten. Wir regeln jetzt mit einer Gleitdruckregelung wesentlich intelligenter und effizienter“, verdeutlicht Markus Haverkamp, Projektingenieur vom betreuenden Planer aquaconsult. Für die Grundlastversorgung der Biologie, die abwechselnd aus belüfteten und unbelüfteten Becken einen Kreislauf mit drei Reinigungsstufen bilden, hat das mit der Planung und Realisierung beauftragte Ingenieurbüro aus Hannover unter anderem ein Turbogebläse von AERZEN ausgewählt.
Turbogebläse für die Grundlast
Der Typ AT 150-0.8S-G5 erreicht einen Ansaugvolumenstrom von 4.800 Kubikmetern pro Stunde mit einer Motornennleistung von 143 kW bei einem Ansaugdruck von 1 bar und einem Enddruck von bis zu 1,8 bar. Für Cord Utermann, Vertriebsingenieur bei AERZEN, sind Turbogebläse klassische Vertreter energieoptimierter Grundlastmaschinen, die am besten innerhalb der Nennwertparameter 24 Stunden durchlaufen, weil sie dann mit der höchsten Wirtschaftlichkeit in Betrieb sind. „Wie bei jeder Turbo-Technologie sinkt der energetische Wirkungsgrad, sobald die Geräte in den Teillastbereich gefahren werden“, erklärt Utermann. Folglich sind Konzepte zu entwickeln, die es möglich machen, die im tageszeitlichen Verlauf schwankenden hohen, aber auch niedrigen Schmutzfrachten gleichermaßen energieeffizient zu reinigen. Für ein Optimum an Energieeffizienz in einer Kläranlage bedeutet dieser Ansatz, dass der Luftbedarf, der über die Grundlast hinausgeht, von Verdrängermaschinen wie Drehkolbengebläsen und -verdichtern zu decken ist. Sie sind stark in hohen Regelbereichen zwischen 25 und 100 Prozent und haben einen guten Wirkungsgrad auch im Teillastbetrieb. Deshalb sind auch zwei AERZEN Aggregate vom Typ Delta Hybrid (D 62 S) und ein Delta Blower (GM 80 L) Teil des Verbundsystems in der Kläranlage in Rheda-Wiedenbrück.
Damit dieses Quartett den Sauerstoffbedarf für die Belebungsbecken nicht nur prozesstechnisch sicher deckt, sondern die benötigte Luftmenge auch noch so energieeffizient wie nur möglich im Verbund erzeugt, hat AERZEN die AERsmart entwickelt. Nach Auskunft von Cord Utermann, besteht „die hohe Kunst der Steuerungstechnik darin, die Übergänge zwischen den sich überlagernden Betriebsbereichen möglichst fließend und bei jeder Last so energieeffizient wie möglich zu gestalten, d.h., die unterschiedlichen Maschinen in der Kombination immer im Gesamtoptimum zu fahren“. Diese resultieren nach Auskunft von Markus Haverkamp „aus dem Lastgang, der sich eben nach dem realen Bedarf richtet“. Hierbei gibt es „immer wieder Spitzen nach oben wie nach unten“. Indem in Rheda-Wiedenbrück drei verschiedene Maschinen mit unterschiedlichen Arbeitsbereichen und Wirkungsgraden zum Einsatz kommen, müssen diese auf eine Weise übereinander gelegt werden, „dass wir möglichst wenig Schaltvorgänge haben. Das ständige An- und Abschalten würde ja den Verschleiß erhöhen“, macht der Projektingenieur von aquaconsult deutlich. „Eine effiziente Luftverteilung zwischen den Belebungsbecken (gleitende Druckregelung, Einbringen von Störgrößen wie z.B. NH4-N, Wassermenge etc.) und die effiziente Maschinenauswahl sind für eine optimale Gesamteffizienz notwendig. Dies wird durch das neue Steuerungssystem von AERZEN realisiert.“
Basis für die steuerungstechnische Optimierung mit der AERsmart-Steuerung bildet der Sauerstoffbedarf in den drei Reinigungsstufen. Die Kennzahlen werden von der zentralen Anlagen-SPS verarbeitet, und der daraus resultierende Solldruck wird per Profibus an die Gebläsesteuerung gegeben. AERsmart sorgt dann dafür, dass die vier Aggregate energetisch optimal miteinander arbeiten. „Das hier eingesetzte Turbo Turbogebläse hat zum Beispiel bei 83 Prozent Auslastung den höchsten Wirkungsgrad“, erklärt Cord Utermann. Liegt der Luftbedarf darunter, kann es folglich effizienter sein, die Grundlastmaschine ganz abzuschalten und den vergleichsweise geringen Luftbedarf durch die beiden Delta Hybrid Anlagen zu decken. „Unseren Bakterien ist es egal, wer für den Sauerstoff sorgt“, merkt Hendrik Wulfhorst augenzwinkernd an. Der Abwassermeister weist jedoch darauf hin, dass im Vorfeld der Modernisierungen die Gebläsetechnik so projektiert wurde, dass die Leistung des Turbogebläses für den „normalen“ Tagesbedarf ausreicht.
Als Zwischenergebnis konnte die Kläranlage Rheda-Wiedenbrück mit den energieoptimierten Gebläsen und einer vergleichsweise einfachen Prozesssteuerung, die enger mit den herrschenden IST-Werten verknüpft ist, rund 30 Prozent Energie in der Biologie einsparen. AERsmart bringt hier durch die Optimierung auf Gebläseebene weitere 5 bis 8 Prozent obendrauf. Wie viel es über eine längere Betriebsphase genau ist, wird der Feldtest in der Kläranlage zeigen. Rheda-Wiedenbrück ist der erste Abwasserbetrieb in Deutschland, der die AERsmart in der Praxis testet. „Wir brauchen die Anwendung vor Ort, da wir die komplexen Zusammenhänge einer Kläranlage nur im Feld erkennen können; das lässt sich auf einem Prüfstand nicht nachvollziehen. Deshalb ist uns die intensive Zusammenarbeit mit unseren Kunden so wichtig, weil wir nur so einen engen Anwendungsbezug für zukunftsweisende Weiterentwicklungen erhalten“, fasst Cord Utermann zusammen.